Bischof Dr. Franz Jung mit KAB und Betriebsseelsorge zu Besuch im Industrie Center Obernburg

Über den eigenen Tellerrand hinausschauen und mitbekommen, wie die Menschen leben: Mit diesem Ziel hat Bischof Dr. Franz Jung nach eigenem Bekunden am Mittwochvormittag, 19. Februar, das Industrie Center Obernburg (ICO) besichtigt. Ihn begleiteten Diakon Peter Hartlaub, Präses der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) im Bistum Würzburg, KAB-Sekretär Joachim Schmitt, Diakon Ludwig Stauner, Betriebsseelsorger für die Region Untermain, Pfarrer Franz Kraft sowie der persönliche Referent des Bischofs, Ordinariatsrat Monsignore Dr. Matthias Türk.

Über die Geschichte und die aktuelle Situation des ICO wurden sie von Andreas Scherhans, Geschäftsführer der Standortbetreibergesellschaft Mainsite, und einigen seiner Mitarbeiter informiert. Als Besitzer des Industriegeländes vermietet Mainsite Flächen und Gebäude an die dort zurzeit 35 ansässigen Firmen und stellt verschiedene Serviceleistungen wie Betriebsschutz oder Personalmanagement zur Verfügung. Mit über 3000 Beschäftigten, darunter rund 200 Auszubildende, gehört das ICO zu den größten Arbeitgebern in der Region Untermain. „Fast jeder in der näheren Umgebung hat Verwandte oder Bekannte, die hier arbeiten“, sagte Ulrich Weis, Leiter der Buchhaltung, den Gästen von der Kirche und unterstrich damit die Bedeutung der Firmenansiedlungen für die Region.

Die Wurzeln der ICO liegen in der im Jahr 1924 auf dem Gelände errichteten „Bayerischen Glanzstoff-Fabrik AG“. Das Chemiefaserwerk stellte textile Kunstseide-Fäden her. Im Laufe der Jahre änderten sich zwar immer wieder Besitzer und Namen, aber der Sparte Chemie blieb man grundsätzlich treu. Heute werden dort beispielsweise Kunststoffe für die Reifen-, Airbag- und Planenproduktion hergestellt, es gibt aber auch auf Medizintechnik oder auf Farben und Lacke spezialisierte Firmen. Die Technische Hochschule Aschaffenburg betreibt hier seit einiger Zeit in einem eigenen Bereich Forschungen. Dabei geht es unter anderem um Fahrzeugsicherheit, 3-D-Druck, Energieeffizienz und Automation.

Die Leiterin des Personalmanagements von Mainsite, Barbara Strasser, und der Betriebsratsvorsitzende Roland Berninger berichteten auch über die Herausforderungen, denen man sich hier gemeinsam mit den Arbeitnehmern stellen muss. So seien beispielsweise für klassische Ausbildungsberufe wie Elektriker und Schlosser kaum noch Bewerber zu finden. Auch aufgrund der Stärke der Region, in der es aktuell nur 2,3 Prozent Arbeitslose gibt, sei der Fachkräftemangel akut geworden. Dazu komme, dass die Ansprüche an die Arbeiter immer größer würden: In vielen Bereichen sind Englischkenntnisse und ein vertieftes Wissen bei der Arbeit mit Computern notwendig. Hier setzen die Firmen verstärkt auf eine Zusammenarbeit mit den Schulen der Region.

Das Thema Umweltschutz beschäftige die Firma nach eigener Auskunft stark, in den vergangenen Jahren sei einiges investiert worden. So gibt es zum Beispiel auf dem Gelände ein hocheffektives Erdgas-Kraftwerk. Die dort erzeugte Energie und Wärme kommt auch den Kommunen in der Umgebung zugute. Dachbegrünungen oder der Einsatz von E-Autos sind weitere Beispiele für die Bemühungen in diesem Bereich. Einige der angesiedelten Firmen bekommen bereits die Veränderungen in der Autoindustrie zu spüren und müssen in Kurzarbeit produzieren. Allerdings helfe die im Jahr 2015 in einigen Bereichen eingeführte 35-Stunden-Woche dabei, Produktionsveränderungen besser auszugleichen. Mit dieser Umstellung konnten damals auch 100 vorwiegend junge Menschen neu eingestellt werden. Das habe den Altersdurchschnitt der Belegschaft von etwa 50 auf jetzt 46 Jahre gesenkt.

Zwischen den Gesprächen führte Thomas Rasch, Betriebsleiter der Firma PHP Fiber, die Besucher durch eine der Produktionshallen, in denen Garn aus Kunststoff hergestellt und verpackt wird. Die dünnen, aber sehr stabilen Schnüre werden für Verstärkungsnetze zum Beispiel in Reifen und Gartenschläuchen oder für die Produktion von Airbags verwendet. Rund 40.000 Kilometer Garn werden hier in einem Jahr auf Spulen gepackt und dann in die Welt verschickt. Bischof Jung ließ sich beim Rundgang auch die Maßnahmen für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz erklären.

„Ich mache mir viele Sorgen, wie es mit den Industriestandorten in unserem Bistum weitergeht“, sagte Bischof Jung zu den Vertretern des IOC. Er stelle fest, dass die aktuellen Herausforderungen nicht differenziert genug dargestellt werden. So brauche es zum Beispiel bei der Nachhaltigkeit eine ausgewogene Balance zwischen Ökologie und Ökonomie, die er in der momentanen Debatte vermisse. „Das führt auch zu Frust bei den Menschen und die wählen dann entsprechend“, sagte der Würzburger Oberhirte. Er regte an, darüber nachzudenken, ob Kirche nicht den Raum für eine ausgewogene Diskussion bieten könnte.

Bischof Jung dankte am Ende für den Einblick, den er im ICO bekam, und den sehr fruchtbaren Austausch mit Industrie- und Gewerkschaftsvertretern. Nach seinem Amtsantritt 2018 hätte er zunächst vor allem die innerkirchliche Seite des Bistums kennengelernt, jetzt sei ihm auch der Blick auf die andere Seite wichtig. Dass es mal wieder Zeit für einen Bischofsbesuch war, hatte Thilo Berdami, Leiter der Kommunikation von Mainsite, recherchiert: Zuletzt war 1964 Bischof Josef Stangl auf dem Gelände zu Gast.