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Querdenker und andere kluge Köpfe

Familienbildungsreise – Kennen Sie Querdenker? - Immerhin: Jede Familie, die sich an der Bildungsreise beteiligte konnte eine Person aus der eigenen Familiengeschichte präsentieren, die es als „Querdenker oder Querdenkerin“ zur Geltung gebracht hat. Doch was zeichnet eine Querdenkerin aus? Ist das verquere Denken immer gut oder wollen wir da doch noch mal unterscheiden?

In Erfurt und Weimar machten sich 14 Jugendliche und 16 Erwachsene auf die Suche nach dem Querdenker-Gen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Für die Gruppe begann alles schon nach der Ankunft und beim Abendessen im historischen Erfurter Gasthaus „Christoffel“. Bei Thüringer Klößen mit Braten und Rotkohl, mit Holzlöffel und vom mittelalterlichen Fladenteller gespeist, tauchten gar historische Gestalten auf. Offenbar aus der alten Zeit kommend fragten sie uns, wie wir es denn heute so mit Gott und König halten: Warum habt ihr eine Königin schon 9 Jahre lang, wenn ihr sie doch abwählen könnt? Warum habt ihr keine Zeit, wenn ihr doch länger lebt als je ein Mensch im Mittelalter es erfahren durfte? Wofür ein aufwendiges Gerichtsverfahren, wenn doch ein König einfach auch feststellen kann, was Recht und Gesetz ist? Von diesen Fragen angeregt und irritiert begaben wir uns tatsächlich am nächsten Tag in mittelalterliche Gewänder und damit in die Zeit und Umstände des Lebens von Martin Luther. Als „Martin und Martina“ begegneten wir an den historischen Wirkstätten von Luther, den Menschen seiner Zeit. Eine Bäuerin lebt arm und verlassen und doch musste sie sich bei uns beklagen, dass Luther sie nicht in einen rechten Stand versetzen wollte. Einem Bettler gleichwohl konnten wir mit Luthers Worten helfen, dass er seine Schuld fortan nicht mehr mit Ablassbriefen bezahlen, sondern mit guten Taten vor dem Nächsten und vor Gott begleichen konnte. Im Ritterkampf der Romtreuen und Protestanten spürten wir die Versuchung der Macht und einigten uns doch auf Frieden. Die Übersetzung der Bibel in die Sprache des Volkes war eine Erlösung. So entdeckten wir einerseits die epochale Bedeutung von Luthers Thesen. Andererseits mussten wir auch feststellen, dass mit seiner Infragestellung bisheriger Normen, andere viel Gewalt über die Menschen gebracht haben.

Anders war es schon bei Friedrich Schiller. Im napoleonischen Mannheim wurden „Die Räuber“ von der Bühne verbannt. Auch die preußische Bühne in Berlin wollte nichts von seinem „Wilhelm Tell“ wissen. Einzig die Fürsten zu Weimar schufen Anfang des 19. Jahrhunderts einen freigeistigen Raum, in dem Künstler auch die herrschenden Verhältnisse in Frage stellen durften. Die vielen Mächtigen jener Zeit wollte von diesen Querdenkern, auf die wir heute so stolz sind, nichts wissen. Kann man gute Querdenker erst im Rückblick der Geschichte erkennen? Die Gruppe befragte dazu den Gegenwartskünstler Bernd Lange vom Deutschen Nationaltheater zu Weimar. Dabei bezeichnete sich Bernd Lange keineswegs selbst als „Querdenker“. Wohl aber hat er schon zu DDR-Zeiten „knapp unter dem Regierungsradar hindurch“ seine frechen Kommentare zu Staat und Gesellschaft abgegeben. Auch heute inszeniert er selbst Stücke, die als Kommentar zur Gegenwart verstanden werden sollen. Zum Beispiel in dem Stück „Räuber aus verlorener Ehre“, in dem der junge Schiller aufzeigt, wie sich die Verbrecherkarriere eines jungen Menschen gerade nicht aus einem bösen Charakter ergibt. In diesem Stück wird vielmehr erkennbar, dass auch Verbrecher nicht als solche geboren werden, sondern sich erst in eigenen kränkenden Erfahrungen zum Verbrecher entwickeln und irgendwann aus dieser Lebensstrategie nicht mehr heraus kommen. Es ist die Art von Bernd Lange auf diese Weise darauf aufmerksam zu machen, dass man kriminelle Jugendliche nicht einfach wegsperren sollte, sondern sie im verstehen in ein anderes Leben begleiten muss. Ein Querdenker?

So kamen wir aus der Geschichte wieder in die Gegenwart und nahmen uns Teils im Spaßbad und Teils auf Wanderwegen einen Tag Zeit, um all die Eindrücke und Gedanken zu verdauen. So aufgeräumt begann das „Abenteuer Zukunft“. In einer sehr dynamischen Einheit wurden Groß und Klein, Alt und Jung, Mann und Frau zu Querdenkern der Zukunft. Aus Bildern formten wir Sprüche. Aus Sprüche wurden Thesen. Aus Thesen wurde ein quergedachter Entwurf für die Zukunft unseres Landes:

  • Sinnliches Leben zum Fortbestand der Erde

  • Sicherstellung der Grundbedürfnisse weltweit

  • Bewahrung der Schöpfung zum Erhalt der Nahrungsvielfalt

  • Verwirklichung von Träumen mit dem Recht auf komisch sein

  • Bunte Generationen mit dem Recht auf komisch sein

  • Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen - paradiesvogelartig

  • Ausgefallene Lebensform - individuell und vielfältig

  • Wärme miteinander um den kalten Winter zu erleben

  • Liebevoller Umgang der Generationen zur Überwindung von Handicaps

  • Gleicher Lohn für Mann und Frau bei gleicher Aufgabe

Es ist die Auswahl dessen, was allen gemeinsam radikal wichtig ist. In einer Radiosendung, einem Videoclip und im Gespräch mit Nikolaus Huhn (www.hoerender-fussmarsch.de) brachten wir noch einmal in Wort, Bild und Handlungsempfehlungen, was das praktisch bedeuten könnte (siehe Radiosendung im Download). Am Abend brachte das Improvisionen-Theater unsere „Thesen die die Welt verändern“ auf die Bühne und damit in die Irrungen und Wirrungen des Alltags. Es war das öffentliche und fulminante Finale einer aufregenden Woche im Geiste des Querdenkens. Wir sind gespannt, was uns im Spiegel der Geschichte davon wieder begegnen wird.

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