Bayerische Erwerbsloseninitiativen beim Landesbischof Bedford-Strohm
Beim Treffen mit dem Landesbischof wurde eine Reihe von Erfahrungsberichten, Fragestellungen und Forderungen an die Kirchen präsentiert.
Die Aschaffenburger Delegation (s. Bild mit Landesbischof) nutzte die Gelegenheit, ihre Aktivitäten darzulegen und die Bedeutung der ökumenischen Zusammenarbeit in den Bereichen Soziales und Arbeitswelt zu unterstreichen. Der Landesbischof äußerte sich verständnisvoll, differenziert und eindeutig.
Unser Bischof Friedhelm und Weihbischof Ulrich pflegen bei den Visitationen durch Betriebsbesuche und Treffen mit Beschäftigten den Austausch über Erfahrungen der Arbeit.
Ludwig Stauner, Betriebsseelsorger
Aschaffenburg, 17.09.12
Ausführlicher Bericht von Rainer Glissnik:
Christen müssen Arbeitssuchende wahrnehmen
München/Coburg – Gott ist immer verbunden mit dem Anliegen, für die Schwachen einzutreten. Ins evangelische Landeskirchenamt München hatte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm 20 Leute aus den Erwerbsloseninitiativen von Coburg, Kronach, Aschaffenburg, Lauingen und München eingeladen. „So gefällt mir mein Landeskirchenamt – ein runder Tisch mit Menschen aus Gesellschaftsbereichen, die nicht immer hier vertreten sind“, begrüßte er alle.
Als Gemeindepfarrer in Coburg hatte Bedford-Strohm gemeinsam mit dem früheren Sozialsekretär Leonhard Fehn (Schauberg im Kreis Kronach) hier einst einen runden Tisch aufgebaut. Auch als Professor an der Uni Bamberg konnte er öfters dazu kommen. „Was geht in dieser Gesellschaft ab, was ist in unserem Land los?“, will er auch als Landesbischof aus erster Hand erfahren. Vieles finde einfach viel zu wenig Gehör. Ganz schnell werde die Situation derer vergessen, die nicht von wirtschaftlichen Erfolgen der letzten Jahre profitierten. Kirche sei aufgerufen, sich gerade um die schwächsten Glieder zu kümmern.
Für eine nachdenkliche Einstimmung sorgte der katholische Diakon und Betriebsseelsorger Ludwig Stauner (Aschaffenburg) mit seinem Arbeitslosenlied „seht in der Stadt lebt Nichtsnutz wie man sagt“. Später erläuterte Stauner die von evangelischen und katholischen Christen in Aschaffenburg gemeinsam gegründete Beschäftigungsinitiative. „Das Lied hat mich sehr zum Nachdenken gebracht“, betonte der Landesbischof. Hier werde von Leuten gesungen, die Gott in den Wolken suchten und gar nicht merken, dass er im Nächsten um uns zu sehen sei.
Vor allem hörte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zu, saugte die unter die Haut gehenden Äußerungen der Betroffenen auf. Eine Arbeitssuchende erläuterte ihre Situation: 58 Jahre alt, von Krankheiten geplagt, vom Partner verlassen und nun „zu alt, keine Chance“. Enorm die daraus folgenden Probleme für die Lebensführung.
Der Münchner Mike Winterstein erklärte, dass von den 374 Euro Hartz-IV insgesamt nur 132 Euro für Essen und Trinken für ein ganzes Monat eingerechnet seien. Er beklagte Zwangsmaßnahmen von Jobcentern: immer wieder wurde er zu Bewerbungstrainings geschickt, „nach 150 Bewerbungen habe ich aufgegeben“. Wie sehr die erlittenen Frustrationen und als sinnlos erfahrenen Anstrengungen auf das Selbstwertgefühl wirken. Die erlittene seelische Not wird dann auch noch sanktioniert. 7,3 Millionen Menschen arbeiteten in Minijobs, davon seien 4,8 Millionen von diesen als einzige Einnahmequelle abhängig.
Die prekären Arbeitsverhältnisse – von denen Menschen nicht leben könnten – nehmen auch in Zeiten zu, in denen die Krise bei uns glimpflich verläuft, stimmte ihm der Landesbischof bei. Die Diakonie sage nachdrücklich, dass die Hartz-IV-Sätze steigen müssten. „Die Berechnung entspricht nicht wirklich dem Existenzminimum.“ Es könne einfach nicht hingenommen werden, dass von Menschen zunehmend Eigenverantwortung verlangt werde, sie aber Arbeitsverhältnisse bekommen, von denen sie nicht leben können. Das Fördern müsse an die erste Stelle rücken, dann könne man etwas fordern. Erst müssten die Menschen befähigt werden, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Kirche wolle Impulse setzen, Hartz IV zu verändern. „Es ist ein mühsamer Weg um hier etwas zu verändern“, bekräftigte Oberkirchenrat Detlev Bierbaum (Leiter der Abteilung „gesellschaftsbezogene Dienste“).
Insbesondere verlangte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, dass die Würde der Menschen beachtet werden müsse, auch die der Arbeitssuchenden. Leider höre er immer wieder, dass dies nicht so sei.
Der Münchener Arnold Berner wies auf die Benachteiligung von Kindern in Hartz IV Bedarfsgemeinschaften hin. Das Kindergeld werde angerechnet, von der Vergütung als Auszubildender blieben seinem Sohn 100 Euro übrig – von denen die Fahrtkosten gezahlt werden müssen. Die Wirtschaft fordere Facharbeiter und der Staat bestrafe junge Menschen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben.
Hans Guttner aus Lauingen wünschte sich eine solidarische Kirche. Auch die Seelsorger sollten sich in ihren Gemeinden für den Bereich Arbeitslosigkeit interessieren. So wäre es gut, wenn Arbeitsloseninitiativen kirchliche Räume nutzen dürften. Arbeitssuchende bräuchten besonders seelisch-moralische Unterstützung.
Soziale Gerechtigkeit, Umgang mit Arbeitslosigkeit – zu diesen Fragen müsse die Kirche immer wieder etwas sagen, unterstrich der Landesbischof. Zu Lohnfragen, Mindestlohn oder Umgang mit Menschen ohne Arbeit dürfe es nie still werden. Es gehe darum sich nicht immer nur selbst zu sehen, sondern die Situation von anderen wahrzunehmen. „Wir bleiben im Gespräch“, sicherte Bedford-Strohm den Arbeitssuchenden zu. Es wäre gut, wenn die evangelische Kirche mithelfen würde, dass sich Menschen ohne Arbeit untereinander vernetzen. Die Anliegen und Sorgen der Arbeitssuchenden nehme er im Herzen mit, versprach er. rg
Kronach/Coburg - Die Wirtschaft boomte und doch schloss ein Betrieb nach dem anderen - gerade in Oberfranken, erklärte der Projektleiter im Club der Arbeitssuchenden Leonhard Fehn.
Aufmerksam verfolgte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm die Ausführungen des Nordhalbener Ehepaars Gerd und Frauke Wunder. Gerd Wunder war bis vor kurzem Betriebsratsvorsitzender bei der Firma „Polytec“ – und ist seit dem 1. August nach der Werksschließung arbeitslos. 200 Menschen seien betroffen, einige wurden in entfernteren Werken übernommen. Wunder klärte über die Ursachen auf. „Wir sind auf der Strecke geblieben, die Region blutet aus.“ Junge Leute wandern ab. „Es ist schlimm“, betonte Gerd Wunder, der eindrucksvoll die bedrückende Situation schilderte.
Etliche der Betroffenen seien über 50 Jahre alt. „Es wird für uns alle schwierig sein eine neue Arbeit zu finden.“ Mittlerweile gab es einige Stellenangebote –von Leiharbeitsfirmen aus Thüringen. Für 1000 bis 1200 Euro Bruttolohn im Monat gäbe es Arbeitsmöglichkeiten – wofür jeder ein eigenes Auto brauche. „Das macht den Betroffenen Angst!“
„Das macht mich sehr betroffen“, zeigte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm unumwunden seine Gefühle. Die Leute vor Ort fühlten sich ohnmächtig. Menschen würden als Mittel zum Zweck benutzt. Kirche sollte mithelfen, dass Netzwerke entstehen, damit die Betroffenen nicht ihre Selbstachtung verlieren. Der Landesbischof hofft, dass ein Umdenken in der Wirtschaft stattfindet und Menschen mit langjähriger Berufserfahrung als eine wichtige Ressource geschätzt würden. „Es geht um Menschen“ appellierte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm an die gesamte Gesellschaft, sich um Menschen ohne Beschäftigungsverhältnis zu kümmern. rg
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