Kein Aufschwung für alle!
Aschaffenburg. Die meisten der rund dreidutzend Besucher des von der KAB und Betriebsseelsorge im Martinushaus veranstalteten Arbeitnehmerforums mit dem Titel „Der Aufschwung ist da?“ waren vom Fach, bedingt durch Beruf oder Ehrenamt.
Ingrid Sehrbrock, die seit gut einem Jahr in das Amt der stellv. DGB-Bundesvorsitzenden gewählt ist, referierte im ersten Teil der Veranstaltung über die Misstände bei den Minijobs und der Leiharbeit, die Chancen von Frauen, die mangelhafte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Notwendigkeit von Ganztagsschulen und die neue Armut in Deutschland. Eine große Aufgabe der Zukunft - so Sehrbrock - sei es ebenfalls eine vernünftige Lösung für die Probleme zu finden, die mit der Demographie der nächsten Jahrzehnte einhergingen. Besonders lag ihr die unbefriedigende Situation der Ausbildungsstellen und die Fehlentwicklungen bei den Praktika für junge Leute am Herzen. Eine der zentralen Forderungen Sehrbrocks in ihrem Impulsreferat war des Weiteren die Ausbildungsplatzabgabe und der flächendeckende Mindestlohn. Die gebürtige Offenbacherin, die sich der Region des Untermain nach wie vor sehr verbunden fühlt, begrüßte auch die Anliegen der KAB.
Im zweiten Teil hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden und mit Frau Sehrbrock ins Gespräch zu kommen.
Angelika Franz-Rinneberg vom Alleinerziehendentreff der KAB beschrieb sehr persönlich die schwierige Situation eine Familie mit Niedriglohn „durchzubringen“. Sie beklagte die häufig schlechte Bezahlung von Frauen und das „Rentenloch“ am Ende der Erwerbsbiographie. Die Beseitigung der ungerechten Verteilung der Arbeitsplätze sei außerdem eine zentrale politische Herausforderung. Theresia Erdmann, Verantwortliche für die KAB-Familienarbeit am Bay. Untermain kritisierte die Mängel in den Schulen und die mangelnde Anerkennung derjenigen, die sich für die Familienarbeit „in Vollzeit“ entschieden hätten. Der Vorsitzende des KAB-Stadtverbandes Aschaffenburg Klaus-Friedrich Brox hinterfragte die gesellschaftlichen Ursachen für die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Betriebsseelsorger Ludwig Stauner berichtete von der Erfahrung, dass die regelmäßigen Klagen der Unternehmen über schlecht qualifizierte Schulabgänger eine Tücke sei, da diese der Resignation bei den jungen Menschen Vorschub leiste.
Als Regionalvertreter des DGB meldeten sich Remo Schard und für die IG Metall Herbert Reitz zu Wort. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Rekordgewinne der Unternehmen wiesen sie auf die zurückhaltende Lohnpolitik der letzten Jahre von Seiten der Arbeitnehmer hin und machten deutlich, dass nun die Arbeitnehmer ein größeres „Stück“ von dem erwirtschafteten „Kuchen“ ihrer Unternehmen erhalten müssen. Ihre Kollegin Birgit Adam prangerte die zunehmende Zweiklassengesellschaft an.
KAB-Referent Ralph Stapp, der den Abend moderierte, umrahmte jeweils die Veranstaltung zu Beginn und am Ende mit einigen Gedanken aus der Kath. Soziallehre. Es gäbe keinen Frieden ohne Gerechtigkeit! so Stapp. Für Gerechtigkeit zu sorgen, sei die zentrale Aufgabe der Politik zitierte er Papst Benedikt XVI. Es gelte genau hinzuschauen, inwieweit sich bereits sozialer Unfriede und Ungerechtigkeit in unserem Lande breit gemacht habe. Beispielhaft führte er das gegenwärtige Paradox vor Augen, mit dem sich die Bürger konfrontiert sehen: Einerseits Wirtschaftswachstum, abnehmende Arbeitslosenzahlen und sinkende Staatsverschuldung; andererseits rückläufige Löhne und Renten, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, unzureichende Bildungsperspektiven, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die häufig unwürde Situation von Hartz4-Betroffenen, steigende Preise, steigende Steuer- und Abgabenbelastung für Normalbürger, Einführung von Studiengebühren etc. Die KAB habe dazu bereits vielfältige Lösungsansätze und Konzepte erarbeitet.
Georg Ehinger
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